...aus dem Leben eines nixiskla...
Freitag, 28. Juni 2013
Ich hätte erst schreiben sollen, bevor ich den virtuellen Gang durch die Nachbarschaft mache, nun rauscht mir meine relativ gute und halbwegs entspannte Stimmung nämlich gerade rapide in den Keller. Lesen Sie bitte zunächst mal Link zu einem anderen Beitrag hier bei Blogger.de drüben bei Frau ach annemarie, dann kommen Sie bitte wieder und können danach meinen deutlich harmloseren Beitrag lesen.

Fertig mit Lesen? Ziemlich hart, nicht wahr? Also, erst mal schlucken, dann den Mund abwischen.

Ich hatte gestern also den zweiten - die Abgabe des Antrages mitgerechnet im Grunde sogar den dritten, aber egal - Termin beim Jobcenter. Am liebsten würde ich gleich am Anfang den Namen der Sachbearbeiterin nennen, am Ende des Beitrages werden Sie wissen warum.

Wider besseren Wissens war ich die obligatorischen 15 Minuten zu früh und dann auch schon gespannt, als die entsprechende Tür aufging und eine Person pfeifend herauskam. "Herr Wajakla? Das ist ja schön, dann kommen Sie gleich mal mit. Warum haben Sie denn nicht geklopft, Sie müssen hier doch nicht im Flur sitzen." Eloquente Erwiderungen im Kopf murmelte ich nur so etwas wie "tja". Ich war für Eloquenz auch noch ein wenig zu müde. War schon seit fünf Uhr auf den Beinen, ich kann nicht abstreiten, dass mich auch dieser Termin schon seit dem Abend vorher ziemlich mitnahm.

So saß ich dann wohl ziemlich zerknautscht, zumindest mit deutlichen Augenringen, vor einer mich freundlich anlächelnden Frau so um die 30, vielleicht ein paar Jahre mehr. Die erste Frage verwirrte mich schon: "Wie geht es Ihnen?" Ich begann meine berufliche Situation aufzusagen, die kann ich mittlerweile nachts um drei mit allen relevanten Tagesdaten und Vertragsinhalten. "Nein, nein, ich meinte schon, wie es Ihnen geht..." Verwirrung meinerseits, aber sie wollte tatsächlich wissen, wie es mir ging. Hatte bisher gedacht, alle persönlichen Befindlichkeiten seien absolut irrelevant, die Dame beim Arbeitsamt hatte zumindest nie den Eindruck erweckt, als ob sie das interessierte.

Und so entwickelte sich tatsächlich ein Gespräch über meine ganz persönlichen Befindlichkeiten. Über die ganzen Jahre der Probleme, die Erkrankung, dieses extrem frustrierende letzte Jahr mit diesen ganzen erfolglosen Bewerbungen. Und sie fragte immer weiter und bohrte immer tiefer, ob schon Überweisungen geplatzt seien, ob es familiären Stress gäbe, wie es mit Drogen aussähe, ob ich noch genug zu essen im Schrank hätte. Bis ich dann irgendwann lachen mußte und sie einfach nur noch endverwirrt fragte, was denn eigentlich ihre Aufgabe sei.

Das liest sich jetzt arrogant oder schnöselig von oben herab, war aber wirklich genau so freundlich gefragt, wie sie mich freundlich gefragt hatte, ob ich aggressiver in meinem Umfeld geworden sei. Oder saufe. Und dann erklärte sie mir, wie sie ihren Job interpretiert.

"Ich habe dafür zu sorgen, dass Sie nach Möglichkeit wieder in Ihrem Beruf arbeiten können. In neun von zehn Fällen ist das bei den Personen, die hier her kommen, aber gar nicht möglich. Weil sie trinken, weil sie über die Situation krank geworden sind, weil sie familiäre Probleme haben, weil sie nicht wissen, was sie morgen essen sollen, weil sie kein Geld für Briefmarken haben, weil der Vermieter sie raus haben will, (...) (Sie können jetzt noch alles einsetzen, was Ihnen einfällt, ich selber bekomme diese lange Liste gar nicht mehr zusammen). Fast alle haben den Kopf gar nicht mehr da, wo er sein sollte. Und das genau ist der erste Teil meines Jobs: alle Steine wegzuräumen, die Ihnen im Weg liegen. Haben Sie keine Wohnung, wir werden eine neue finden, haben Sie Stress mit Partner oder Familie, wir werden Ihnen Beratungsdienste empfehlen, etc.pp. Ich habe hier schon Zahnarzttermine gemacht, weil derjenige vor Schmerzen halb ohnmächtig war, aber nicht wußte, wie das mit der Zuzahlung laufen würde. Das ist mein Job."

Die Frau hatte sich vermutlich verirrt, bestimmt gab es noch eine Abteilung, an deren Tür "Gute Fee" und nicht "Fallmanagement E-Z" stand. Und so klopften wir nach und nach - also sie klopfte und ich nickte oder schüttelte den Kopf - alle auch nur erdenklichen Dinge ab, die einem so auf der menschlichen Leitung stehen können. Und sie war mehr als deutlich und persönlich - abgesehen davon, dass man da ja wirtschaftlich eh die Hose komplett runterlassen muss - und sagte mir irgendwann, dass sie kein gutes Gefühl habe. Den meisten, die hier sitzen, ist das ziemlich egal, was passiert, Hauptsache sie seien möglichst schnell wieder raus. Bei mir habe sie den Eindruck, auf einer Skala von eins bis zehn, ob ich mich am liebsten umbringen möchte, sehe sie mich locker bei vier bis fünf. Hm, das hier war definitiv sehr anders, als alle Gespräche dieser Art vorher. Sie wollte keine Antwort, ließ das einfach so im Raum stehen. Und da wir eh schon so in meinen Eingeweiden wühlten, sagte ich ihr einfach direkt, dass ich das schon 2007 versucht hatte und das keine Option mehr für mich sei. Die Fee lächelte, bestimmt über alle vier Backen, sehen konnte ich nur zwei.

Mittlerweile hatte es ungefähr fünf Mal an der Tür geklopft, zwei Mal wollte jemand auch rein, das Telefon hatte mindestens doppelt so oft geschellt, bis sie es auf lautlos stellte. "Jetzt muß ich aber mal damit anfangen, Ihre Daten ins System zu bringen." Es kam dann jetzt doch noch der Teil, den ich schon kannte, immer wieder unterbrochen von Nachfragen. "Sie haben ein Semester Medizin studiert? Wie kam es denn da zu?" "Ausbildung in einem Großhandel für Kunstpostkarten, wie spannend." Als ich dann noch die Tigerente erwähnte, die wir damals zu tausenden in die Läden verschickten, war sie kurz vor Begeisterung.

Alles sehr, sehr seltsam, Sie können mir glauben. "Also Herr Wajakla, die Wahrscheinlichkeit, dass ich Ihnen von hier eine Stelle vermitteln kann, geht ehrlicherweise gegen null. Sie werden das weiterhin mehr oder minder genau so machen wie bisher: Sie bewerben sich komplett selbständig und mailen mir immer zu Anfang des Monats eine Liste mit Ihren Bemühungen. Sechs bis acht Bewerbungen habe ich geschrieben, mehr geht auch schon rein rechnerisch kaum bei dem Geld. Wenn Sie da Probleme haben, Briefmarken, Toner, rufen Sie mich an, wir arbeiten hier ganz eng mit der AWO zusammen, dann können Sie das bei denen erledigen, die haben dann auch PC und Drucker, Briefumschläge und Briefmarken und die schicken das dann auch weg. Einen Ein-Euro-Job werde ich Ihnen nicht anbieten, ich habe auch gar nichts, was irgendwie in Ihre Richtung, geschweige denn Qualifikation geht. Und Strafarbeiten verteilen wir hier grundsätzlich nicht." Sie stand auf, ich war mal wieder verwirrt, drückte ihre Hand. "Und sie rufen mich an, wenn es Probleme gibt." "Wann ist dann der nächste Termin?" "Wenn ich Sie einlade, sonst nicht, das liegt in meinem Ermessen. Ich habe ein paar, die sehe ich nur alle halbe Jahre, weil es keine Probleme gibt und alles läuft."

Beginn des Termins 08:20 Uhr, Ende 10:05 Uhr. Taktung beim Arbeitsamt 30 Minuten, schwierige Fälle beim Ersttermin 45 Minuten.

Ich hätte noch viel mehr schreiben können, sie hat mir zum Beispiel erklärt, warum das beim Arbeitsamt so ablaufen würde: jeder Sachbearbeiter dort habe so 700-800 Fälle zu bearbeiten. Da kann man nicht aktiv bei der Suche helfen, weil die 30 Minuten alle vier Wochen die einzigen Minuten sind, die man sich mit dem Fall befassen kann. Sie wird sich auch mit der Problematik Wohnung - zu groß, zu hohe Kosten, nach sechs Monaten Kürzung der Leistung für Warmmiete auf den Regelsatz - noch mal schlau machen, sei aber der Meinung, dass in diesem Fall durchaus legitim sei, wenn ein Dritter exakt die Differenz zwischen Regelsatz und Realmiete sozusagen zweckgebunden auf mein Konto überweise und somit die Wohnung gehalten werden könne. Will sie noch abchecken und mir dann mailen.

Wenn das wirklich so ist, dann bekommt sie beim nächsten Mal von mir Externer Link etwas geschenkt... Aber eigentlich habe ich gar nicht vor, sie noch mal zu sehen, sechs Monate ist eine lange Zeit und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Tja, so war das. Eins ist klar, diese Person hat exakt den richtigen Job. "Ich liebe meine Aufgabe, Sie werden es kaum glauben.", hat sie gesagt irgendwann im Gespräch.